KLAUSENPASS + URNER KREIS
Ausschnitt aus Postkarte
Foto: Archiv August Babberger
Balmalp - 1930
Ausschnitt aus Postkarte
Foto: Archiv August Babberger
Hotel Klausenpasshöhe - 1905
Hotel Klausen-Passhöhe
Sicht vom Lido mit Gashäuschen,
Dependance und Clariden,
Privatbesitz
Foto: Martin Arnold
Werk Erna Schillig um 1930
DER KLAUSENPASS WAR FÜR ERNA SCHILLIG IN JEDER HINSICHT PRÄGEND
Am 15. Juni 1900 wird die Klausenstrasse nach einer 7-jährigen Bauzeit für den Verkehr mit Fuhrwerken freigegeben. 1902 bis 1903 wird im Auftrag von Regina und Emanuel Schillig-Aschwanden das Hotel Klausen-Passhöhe nach Plänen von Josef Blaser aus Schwyz errichtet. Am 13. Juli 1903 erfolgt eine festliche Einweihung, und am 18. Juli wird das Hotel offiziell eröffnet. Erna Schillig ist da drei Jahre alt.
Die Familie Schillig lebt jeweils von ungefähr Ende Mai bis Ende Oktober auf dem Klausen.
Auch nach der Einschulung verbringt Erna die Sommermonate regelmässig im Hotel und auf der Balmalp. Die Alp mit der Hütte gehört den Inhabern des Hotels und ist schon seit vielen Jahren zusammen mit der Alp in „Mättenwang“ auf dem Urnerboden (Haus mit zwei Hütten, ein Stall und ein Käsgaden) Eigentum der Familie Schillig. Mit 52 Jahren stirbt Ernas Vater Emanuel 1929 unerwartet auf dem Klausen. Mit Unterstützung der Kinder führt seine Frau Regina den Hotelbetrieb weiter.
Auf dem Klausen lernt Erna Schillig 1918 den deutschen Maler August Babberger (1882 – 1936) kennen. Die 18-jährige Erna spürt sogleich eine Seelenverwandtschaft mit dem deutschen Künstler. Er verbringt von 1918 bis zu seinem Tod 1936 den Sommer auf der Balmalp. Die von Babberger und seiner Gefährtin und Kollegin Erna Schillig genutzte Hütte auf der Balmalp wird zu einem Treffpunkt, der als „Urner Kreis“ in die Geschichte eingehen wird.
Balmalp
Sie liegt am alten Klausenweg, der von Unterschächen nach Aesch und von da über die steile Balmwand zur Unter Balm, dem Niemerstafelbach entlang, auf den Klausenpass führt. Schon vor der Errichtung des Hotel Klausen-Passhöhe kann man sich in der Hütte auf der Balmalp, von den Einheimischen „Schillig-Hütte“ genannt, verpflegen und auch ein Nachtlager erhalten.
Ein Lido am Nebelmeer
Die Familie Schillig erweitert bei schönem Wetter den Restaurationsbetrieb des Hotels auf die Talseite der Klausenstrasse und nennt diesen Platz „Lido“. Einige Eisentische laden zum Verweilen ein und bieten vor allem eine freie Sicht ins Schächental. Auch wenn der Klausen-Lido nicht an einem See oder Meer liegt, ist es für die Schillig-Familie trotzdem naheliegend, diesen so zu nennen. Das häufige herbstliche „Nebelmeer“ rechtfertigt eine solche Bezeichnung.
Schächental im Nebelmeer mit „Lido“,
Unter Balm, Balmalp, Niemerstafelbach
und Balmbach.
Ausschnitt aus Bild von 1961
Foto: Karl Iten
Die Balmalp als Atelier
Die einfache Behausung auf der Balmalp wird für Babberger zur Wohnstätte und zum Atelier. Seine Gattin Anna Maria Babberger-Tobler (1882 – 1935), eine gebürtige Urnerin, die er 1912 heiratete, kann ihn fürs Schächental und das Klausengebiet begeistern. Auch Erna Schillig ist inspiriert von der Urner Hochgebirgslandschaft. Sie wird Babbergers Mitarbeiterin.
Foto: Herta Blum, Schülerin von
August Babberger, zur Verfügung gestellt
aus Archiv August Babberger von
Dr. Andreas Gabelmann, Radolfzell
Erna Schillig und August Babberger
vor der „Schillig-Hütte“ auf der Balmalp,
dem Treffpunkt des „Urner Kreis“,
Sommer 1936
Intellektuelle und Gleichgesinnte wie der Schriftsteller Eduard Renner (1891 –1952), der Bildhauer Eugen Püntener (1904 – 1952), der Maler Augusto Giacometti (1877 – 1947) und auch Heinrich Danioth (1896 – 1953) sowie nur für kurze Zeit Albert Jütz (1900 – 1925), der Komponist des Liedes Zoogä-n am Boogä, und weitere treffen sich im „Urner Kreis“. Albert (Bärti) Jütz verunglückt am 9. Juli im Alter von 25 Jahren bei einem Verkehrsunfall in Littau.
Helen Schillig, Regina Schillig, Heinrich Danioth,
Erna Schillig, Mamma Regina Schillig-Aschwanden,
Anna Maria Babberger-Tobler und Bärti Jütz
im Sommer 1925 auf der Terasse beim
Hotel Klausen-Passhöhe
Foto im Staatsarchiv Uri (ohne Inv. Nr.),
Siehe Verzeichnis "Künstlerischer Nachlass Erna Schillig"
vom Oktober 1994, Pos. 25.11.
Foto reproduziert: Martin Arnold
Inspiriert von den Urner Hochgebirgslandschaften entstehen von Erna Schillig in den 1920er bis 1940er-Jahren viele Werke. Es sind Pastelle, Feder- und Bleistiftzeichnungen, Hinterglasmalereien und auch Bücher. Berglandschaften, Bergwiesen, Blumen, Wasser und immer wieder das Klausengebiet versteht sie, bildlich auszudrücken, und sie lässt in ihren Werken eine ausdruckstarke Sprache erkennen.
August Babberger
auf der Balmalp (Ausschnitt), Sommer 1928
Foto: Aus Katalog Kunstmuseum Luzern 1986
Foto: Aus Ansichtskartensammlung
Dr. Ernst Marty
Foto: Aus Kartensammlung
Dr. Ernst Marty
Bei der Balmalp um 1910/20 mit Schärhorn 3296 m
In seinen umfangreichen Tagebuchnotizen schildert der Maler August Babberger im intensiven geistigen Dialog mit dem gewaltigen Naturraum der Urner Berge seine Begeisterung für die Bergwelt am Klausenpass. In der Balmalp schafft er einen Grossteil seiner ausdrucksstarken Landschaftsbilder. Er gilt als die bedeutende Künstlerpersönlichkeit des deutschschweizerischen Expressionismus.
August Babberger auf dem Bett in der Balmalp, Bleistiftzeichnung von Heinrich Danioth, 1928
Bild von Heinrich Danioth
im Staatsarchiv Uri (ohne Inv. Nr.),
Siehe Verzeichnis "Künstlerischer Nachlass
Erna Schillig" vom Oktober 1994, Pos. 25.4.
Foto: Martin Arnold
August Babberger stirbt am 3. September 1936 im Kantonsspital Altdorf während der Behandlung eines Kropfleidens. Er wird am 7. September auf dem Altdorfer Friedhof in Anwesenheit von Augusto Giacometti beigesetzt. Eine Granit-Erinnerungstafel mit seinen Lebensdaten und der Inschrift „Sein Werk ist eine Hymne auf den Kanton Uri“ erinnert an ihn. In der Folge seines Todes löst sich der „Urner Kreis“ auf. Erna Schillig, der August Babberger die Heirat versprochen hat, wird seine Alleinerbin. Sie betreut seinen Nachlass bis 1962.
Foto: Familie Schillig
Erna Schillig mit ihrer Nichte Esther Schillig
beim Eingang zum Hotel Klausen-Passhöhe,
Sommer 1939
Im Buch HOTEL KLAUSEN-PASSHÖHE Erinnerungen schildert Martin Arnold, wie er Erna Schillig kennen gelernt hat. Anlässlich der Buchpräsentation vom 9. Juli 2021 hat arttv.ch ein Video erstellt. Die Reaktionen auf das Buch lösten das Projekt ernaschillig.ch aus.
Rettungsaktion Nachlass August Babberger
Nach dem unerwarteten Tod von August Babberger, der 1936 in Altdorf stirbt, bleibt sein gesamtes Werk vorerst in Karlsruhe. Um es von den Nazis, die Babbergers Werk als entartet einstufen zu schützen, wird es auf Betreiben von Erna Schillig sowie mit Hilfe von Altdorfer Freunden und ehemaligen Schülern im Verlaufe des Winters 1936/37 nach Altdorf überführt. Durch diese Rettungsaktion kann ein Grossteil von Babbergers Werken vor dem drohenden Zugriff der Nazis bewahrt werden. Die Überführung der Werke erfolgt mit einem Altdorfer Transportunternehmen. Nicht alle Bilder können gerettet werden. Im Sommer 1937 konfiszieren die Nazis bedeutende Arbeiten des Künstlers in verschiedenen Museen in Karlsruhe, Mannheim, Frankfurt und Essen. Die an der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ 1938 und 1941 gezeigten Bilder sind seither verschollen oder gelten als zerstört.
Rückführaktion
Nach einer ersten 1956 erfolgten Schenkungsaktion an Museen in Deutschland und der Schweiz entschliesst sich Erna Schillig im November 1961, den geretteten Nachlass als Stiftung nach Karlsruhe zu geben. In einem Brief vom 16. November 1961 an den Direktor des Kunstmuseums Luzern,
Dr. Adolf Reinle, erklärt sie, „alle Räume, in welchen Babberger Bilder in Altdorf stehen, bis spätestens Ende März 1962 zu räumen“ und die Werke nach Karlsruhe zu überführen. Zu diesem Zeitpunkt ist ein grosser Teil der Bilder im Atelier von Erna Schillig gelagert, welches sich in ihrem Elternhaus im Kuon’schen Heimwesen im Höfli in Altdorf befindet. Die Rückführungen werden durch einen befreundeten Anwalt aus Altdorf begleitet.
Karl Iten erläutert in seinem Buch warum die Werke heute in Karlsruhe sind: „Im Grunde genommen blockierte sie dieser unerwartete Tod ihres Lebensgefährten, der sie hatte heiraten wollen, und sie lebte eigentlich nur noch in der Erinnerung an die hohe Zeit, die sie im knappen Jahrzehnt zwischen 1927 und 1936 in der Verbundenheit mit ihrem Lehrer und Freund August Babberger verbracht hatte. Letztlich fühlte sie sich und ihre Anliegen, ihr eigenes Werk und das ihres Freundes, unverstanden von ihrer eigenen Heimat, der sie dennoch bis zuletzt aus einer inneren Bindung heraus die Treue hielt“.
Iten interpretiert diese Empfindsamkeit: „Nur so ist es zu erklären, dass heute der grösste Teil dieses Nachlasses von August Babberger nicht – wie sie es als Nachlassverwalterin eigentlich geplant und gewünscht hatte – in Uri, sondern in Karlsruhe gehütet wird. Wie schon so oft auf kulturellem Gebiet hat hier der Kanton Uri aus einem Unverständnis der damals zuständigen Leute heraus eine einmalige Chance verpasst“.
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Quellen
Martin Arnold: Erinnerungen an das Hotel Klausen-Passhöhe, 2021; Karl Iten: Das Paradies der Höhensucher, 2001; Andreas Gabelmann: August Babberger (1885-1936), Leben und Werk, Dissertation, Karlsruhe, 1999; Erna Schillig: Aufzeichnungen (gelber Ordner), Das Geschlecht „KUON“, 1970/80; Staatsarchiv Uri.
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